10.02.2020

Karl-Rehbein-Schüler informieren sich in Hanauer Synagoge über das Judentum

Hanau

Foto: Reinhard Paul

Großes Interesse an der Thora: Rabbiner Shimon Großberg erklärt Karl-Rehbein-Schülern die Besonderheiten der jüdischen Gebetsrolle. Die jüdische Gemeinde engagiert sich intensiv um Aufklärung, nicht zuletzt, um dem Aufkeimen antisemitischer Tendenzen entgegenzuwirken.

„Angesichts von Schmierereien, der letzten Schlägerei beim Spiel des jüdischen Sportvereins Makkabi in Frankfurt und dem rechtsextremistischen Anschlag in Halle im vergangenen Jahr wird es auch für mich schwieriger, ein Mut machendes Sicherheitsbild zu zeichnen.“

Der Satz von Oliver Dainow, der als Beauftragter der jüdischen Gemeinden Hessens die Gemeinde in Hanau betreut, macht die Karl-Rehbein-Schüler nachdenklich. Die Mädchen und Jungen der elften Jahrgangsstufe sind an diesem Tag in die Synagoge gekommen, um sich über den jüdischen Glauben zu informieren. Und eigentlich geht es um die Thorarolle, über die Oliver Dainow gemeinsam mit Rabbi Shimon Großberg Spannendes zu berichten weiß. Doch am Ende der zwei Unterrichtsstunden der besonderen Art landet die Gruppe dann doch beim Thema Antisemitismus.

Dabei ist es nicht so, dass die jungen Leute von ihrem Schulhof das bestätigen könnten, was Dainow berichtet: dass nämlich das Wort Jude laut der Studie einer renommierten Frankfurter Dozentin eines der auf Schulhöfen am häufigsten gebrauchten Schimpfwörter sei. Auf die Frage, ob sie im Umfeld im Freundeskreis oder unter den Klassenkameraden jemanden jüdischen Glaubens kennen, meldet sich eine einzige Schülerin. Sie habe eine jüdische Bekannte, die ihren Glauben aber nicht praktiziere, sagt sie.

„Sie führt eine Art Doppelleben“

Dass jüdisches Leben in der Stadt so wenig sichtbar ist, erstaunt nicht, schließlich ist die jüdische Gemeinde in Hanau, die erst im Jahr 2005 gegründet wurde und sich überwiegend aus russisch- oder weißrussischstämmigen Zuwanderern rekrutierte, mit rund 200 Mitgliedern eher klein. Dainow kennt seine Schäfchen alle. Und so weiß er auch, dass es – in Hanau, Frankfurt und Offenbach – eine Dunkelziffer gibt. 

Dainow berichtet von einem Mädchen, das gläubig ist, die Gottesdienste und jüdischen Feste besucht und auch bei Jugendfreizeiten mit der Gemeinde mitfährt, sich aber nicht offen zu ihrem Glauben bekennt. „Sie führt eine Art Doppelleben“, erklärt Dainow nachdenklich. Er findet es schlimm, dass Menschen (wieder) darüber nachdenken müssten, ob sie sich als jüdisch outeten oder sich mit Kippa in der Öffentlichkeit zeigten (was allerdings Männern vorbehalten ist). 

„Langsam wird es ernster.“

Es ist Lehrer Norbert Kaiser, der in der Klasse katholische Religion unterrichtet und mit seinen Schülern gerade beim Alten Testament angelangt ist, der bei den Hausherren in der Hanauer Synagoge nachhakt: „Fühlen Sie sich hier sicher oder bedroht?“. Rabbi Großberg streicht sich langsam über den Bart und antwortet mit Bedacht: „Langsam wird es ernster.“

So hat der in Offenbach lebende Rabbiner, dessen Kinder in die Schule gehen und Mitglieder in Vereinen sind, früher nicht gesprochen, sagt Dainow. Doch er selbst und auch der Rabbi seien vielleicht keine allzu guten Beispiele. Beide seien möglicherweise weniger ängstlich als andere und seien nicht auf den Mund gefallen. Sie seien daran gewöhnt, dass Tor und Tür zur Synagoge abgeschlossen seien und bei Gottesdienste die Polizei Wache halte. Auch in seiner Jugend, so berichtet der smarte Enddreißiger, sei es für ihn schon alltäglich gewesen, Polizeibeamten „hallo“ zu sagen, wenn er das jüdische Jugendzentrum in Frankfurt besuchte.

Zunehmender Rechtsruck als Ursache des zunehmenden Antisemitismus

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle gab es laut Dainow in Hanau Mitglieder, die nicht mehr in die Synagoge kamen, weil sie sich unsicher gefühlt hätten. „Wir sagen nicht, lasst uns die Zelte abbrechen und auswandern“, erklärt Dainow, „aber wir müssen aufpassen, dürfen nicht bagatellisieren.“

Bagatellisiert werden dürfe auch nicht die AfD, nach der einer der Schüler fragt. Dainow kritisiert die Ausgrenzung von Minderheiten, wie sie die AfD propagiere und weist darauf hin, dass die AfD zur Verrohung der Sitten beigetragen habe. Auf die Frage nach den Ursachen für weltweit zunehmenden Antisemitismus, nennt Dainow den zunehmenden Rechtsruck der europäischen Regierungen, Regierungschefs in den USA und Brasilien und
das Internet, das es ermögliche, anonym Dinge zu äußern, die früher nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurden.

Nächster Termin am 10. Februar

„Ihr kommt jetzt in ein Alter, in dem ihr wählen dürft und vor der Berufswahl steht“, betont Dainow. Damit seien die Schüler gefordert, sich menschenfeindlichen Tendenzen entgegenzustellen. Das sollten sie aber keineswegs leichtsinnig tun oder indem sie sich selbst in Gefahr brächten. „Manchmal reicht es schon, nachzufragen“, so Dainow.

Die nächste Veranstaltung in der Synagoge findet im Rahmen des Jüdischen Lehrhauses am Montag, 10. Februar, um 19 Uhr statt. Thema ist „Die Reinkarnation im Judentum“.

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