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01.12.2025

Rabbiner wüst beleidigt: Jüdische Gemeinde erlebt immer häufiger Antisemitismus

Hanau

Bedrohungen, Beschimpfungen, Beleidigungen – immer häufiger kommt es zu antisemitischen Vorfällen, auch in Hanau.


Als ob es dieses Beleges bedurft hätte, dass sich etwas geändert hat: Freitagnachmittag, 16 Uhr, Schlossplatz Hanau, Höhe Congress-Park. Der Rabbi der Jüdischen Gemeinde Hanau ist dort zu Fuß unterwegs. Als er an einer Gruppe mit einer Handvoll Männern vorbeikommt, wird er von einem plötzlich wüst „antisemitisch beleidigt“. So vermerkt es der Polizeibericht. 

Das Erschreckende: So etwas ist beileibe kein Einzelfall. Erst in der Woche davor kam es zu einem antisemitischen Zwischenfall, diesmal just vor der Hanauer Synagoge. Ein 42-Jähriger drohte dem jüdischen Gemeindezentrum. Von einem Brandanschlag soll nach Informationen unserer Zeitung die Rede gewesen sein.

Es liegt auch nicht allzu lange zurück, dass ein Rabbiner an Jom Kippur, dem als Versöhnungsfest bekannten höchsten jüdischen Feiertag, in der Eugen-Kaiser-Straße übel angegangen wurde. Aus einem vorbeifahrenden Auto richtete jemand die Hand gegen den Geistlichen, formte mit den Fingern eine Pistole – und drückte symbolisch ab.

Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde beklagt zunehmende Zahl an Vorfällen

„Es vergeht keine Woche, in der es keine Vorfälle gibt, die gemeldet werden müssen“, sagt Oliver Dainow, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau, im Gespräch mit unserer Zeitung. Vieles taucht gar nicht im Polizeibericht auf, wird „direkt mit der Polizei geregelt“. Die Sache ist zweischneidig. Man wolle einerseits keine Nachahmungstäter auf den Plan rufen. Andererseits hat sich die Situation so zugespitzt, dass auch hochrangige Vertreter der jüdischen Gemeinden nicht mehr schweigen.

Als am 6. November in der Nordstraße das neue Denkmal für die historische Judengasse eingeweiht wurde, prangerte Daniel Neumann, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden in Hessen, einen immer mehr um sich greifenden Antisemitismus nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und der militärischen Gegenschläge an. Es gab reihenweise pro-palästinenische Demonstrationen, viele mit antisemitischem Tenor. Die deutsche Zivilgesellschaft habe indes „ein eisiges Schweigen“ an den Tag gelegt, kritisierte Neumann. 

Beschimpfungen und Bedrohungen sind fast schon Alltag geworden

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) dokumentierte im vergangenen Jahr 8627 Vorfälle – ein Anstieg um fast 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Täglich ereigneten sich demnach, statistisch gesehen, fast 24 antisemitische Vorfälle, 2023 waren es noch etwa 13 pro Tag. Auch die Jüdische Gemeinde in Hanau, die rund 200 Mitglieder hat, erlebt regelmäßig Übergriffe. Dainow: „Es ist eine schreckliche Situation.“ Beschimpfungen und Bedrohungen seien fast schon der Alltag. Auch der Geschäftsführer der Gemeinde muss das immer wieder selbst erleben.

In einer beeindruckenden Rede anlässlich des Gedenkens zur Reichspogromnacht in Hanau am 11. November sprach Dainow auch über die beklemmende Realität jüdischer Lebenswelten. „Diese Realität konnte gedeihen, weil wir vieles zugelassen haben, weil wir bei dem Versuch, vieles unter Meinungsfreiheit summieren zu wollen, nicht eingeschritten sind.“ Die Entwicklung der letzten zwei Jahre habe ihre Begründung aber nicht allein im Nahostkonflikt. Der sei allenfalls Brandbeschleuniger für einen vorhandenen Antisemitismus.

Oliver Dainow erinnerte in seiner Rede auch an eine propalästinensische Demonstration im Sommer mit rund 1000 Teilnehmern in Hanau. Man habe sehr genau gewusst, „welche Inhalte und Propaganda hier transportiert“ würden. Sicherheitshalber habe man daher die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde angehalten, die Bereiche der Stadt zu meiden. Und trotz Schabbat sei die Synagoge leer geblieben.

Polizeischutz bei Veranstaltungen der jüdischen Gemeinde ist Standard

Die jüngste antisemitische Beleidigung des Rabbiners am Schlossplatz – der Fall wurde auch von vielen überregionalen Medien aufgegriffen – ist etwas, was an die Öffentlichkeit gelangt. Alltag ist, dass kaum eine jüdische Veranstaltung hierzulande ohne Polizeischutz stattfinden kann.

Und während es nach Kirchgängen allenthalben üblich ist, dass die Gottesdienstbesucher noch zu einem Plausch im Freien zusammenstehen, gibt es das bei der Jüdischen Gemeinde nicht. „Bei uns gehen alle sofort nach Hause“, sagt Dainow. Aus Sicherheitsgründen.

(Quelle: Hanauer Anzeiger)