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25.02.2025

Die Vergangenheit in der Gegenwart: Persönlich Betroffene sprechen in Kinzig-Schule zum Nationalsozialismus

News Hanau

Im Nachgang zum Holocaust-Gedenktag, 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, organisierte die Jüdische Gemeinde Hanau einen Vortrag vor etwa 80 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 13 des beruflichen Gymnasiums der Kinzig-Schule in Schlüchtern.

Zuvor hatte sich der Abiturjahrgang bereits mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, unter anderem in Hausarbeiten mit selbst gewählten Themenschwerpunkten. Zwei der angehenden Abiturienten stellten nun ihre Arbeiten vor.

Lukas Linster befasste sich mit der Frage, wie sich der Nationalsozialismus auf den deutschen Fußball auswirkte und welche Rolle die damaligen Vereine im Umgang mit der Judenverfolgung spielten. Er fokussierte sich dabei auf den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und den Verein Eintracht Frankfurt. Der Schüler stellte fest, dass die sonst für Gemeinschaft stehende Sportart damals gezielt als Mittel zur Ausgrenzung von Juden genutzt wurde. Am Ende hob Linster anhand des Verhaltens der DFB-Verantwortlichen hervor, dass es wichtig sei, sich mit der Historie auseinanderzusetzen und sich dieser bewusst zu werden.

Magdalena Schwarz stellte die Malerin Dinah Gottliebova Babbitt vor. Aufgrund deren künstlerischer Tätigkeit gelang es ihr, den Holocaust zu überleben. Die Künstlerin sollte für den Lagerarzt Josef Mengele Portraits von Menschen anfertigen, an denen er Versuche vornahm.
Durch Tätigkeiten für die Nationalsozialisten konnten einige Gefangene ihr Überleben sichern. So auch der Großvater von Oliver Dainow, dem Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau und Gastredner. Sein Großvater mütterlicherseits überlebte die Schoah, indem er SS-Uniformen nähte.

Dainow brachte den jungen Zuhörern neben eigenen Erfahrungen, Sorgen und seiner Lebensrealität auch die der Jüdischen Gemeinde näher. „Uns muss bewusst sein, dass wir nicht mehr viele Zeitzeugen aus der ersten Generation haben“, betonte er zu Beginn  und verdeutlichte damit, wie wichtig es geworden sei, sich gerade jetzt mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen und zuzuhören. Er selbst – als dritte Generation – tritt heute vor Menschen, um das Judentum und die Relevanz vergangener Ereignisse wie dem Holocaust für die Gegenwart näherzubringen: „Die Sensibilisierung für das Thema fehlt, weil das Persönliche fehlt“, meinte er bezüglich der geringen Anzahl der in jüdischen Gemeinschaften lebenden Menschen in Deutschland. Diese beläuft sich etwa auf 92 000; davon sind knapp 200 aus Hanau.

Viele aus den Gemeinden seien aus der damaligen Sowjetunion eingewandert, da diese dort vor dem Antisemitismus unter Stalin flüchteten. Einer dieser Einwanderer war auch der Vater von Esther Braun, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hanau. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählte sie, wie ihr Vater trotz negativer Erlebnisse zurück nach Deutschland ging. „Man muss nicht nur lernen, nicht zu vergessen, sondern muss auch lernen, zu verzeihen“, hieß seine Antwort.

Dass Judenhass immer noch aktuell ist, haben beide Mitglieder selbst erfahren müssen. Braun musste aufgrund von Morddrohungen mit ihrer Familie unter Personenschutz nachts untertauchen, Dainow berichtete von Übergriffen in der U-Bahn, als er früher mit einem Trikot oder einer Tasche des jüdischen Fußballvereins Makkabi unterwegs war. Auch am Besuchstag gab es vor der Kinzig-Schule Polizeischutz: „Anders geht es leider nicht“, bedauerte Dainow. Das Gefühl bezüglich der wieder stärker werdenden Anfeindungen gegenüber Juden beschrieb er der Jahrgangsstufe mit dem Symbol des gepackten Koffers. Die erste Generation hätte noch einen gepackten Koffer gehabt; für den Fall, dass sie flüchten müssten. Die Generation danach hätte nur noch einen Rucksack gepackt. Nichts gepackt hatte die dritte Generation. Wohin sie denn gehen sollen, da sie hier geboren sind, fragten sie sich. Die jüngste Generation habe aus Angst wieder einen Koffer.

Er stelle sich Fragen, von denen er früher nicht gedacht habe, er müsse sie sich je stellen, meinte Dainow: „Schicke ich meinen Sohn auf eine öffentliche, private oder doch auf eine jüdische Schule? Wo ist es für ihn am sichersten?“ Zu seiner Zeit sei es ihm nicht als Problem erschienen, da alles multikulturell war.

Am Ende appellierte der Gastredner, nicht wegzusehen, sondern einzugreifen: „Wenn es gegen den Menschen geht, spielt die Herkunft oder die politische Haltung keine Rolle.“
 

Mit freundlicher Genehmigung der Kinzigtal Nachrichten. Der Artikel erschienen in den KN am Mittwoch, 18. Februar, auf Seite 10.