„Wir verlassen uns auf Gott und die Polizei“ - Wie die Jüdische Gemeinde Hanau mit Bedrohung umgeht
Seit den Terroranschlägen der Hamas Anfang Oktober in Israel und einer Welle von antisemitischen Vorfällen in Deutschland - unter anderem in Fulda - hat sich auch in der jüdischen Gemeinde in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) das Bedrohungsgefühl verstärkt. „Die Situation ist an vielen Stellen unerträglich“, sagt Geschäftsführer Oliver Dainow. Er beobachtet aber auf der anderen Seite eine wachsende Solidarität aus der Bevölkerung, was ihm und anderen Juden Hoffnung mache: „Es gibt auch sehr viel Positives.“
Wie die jüdische Gemeinde in Hanau mit wachsender Bedrohung umgeht
Der Rabbiner der Gemeinde, Shimon Großberg, macht das an einem Beispiel fest: „Wir hatten vor kurzem einen Tag der Offenen Tür bei uns. Der war mit 120 Gästen sehr gut besucht.“ Das waren mehr als doppelt so viele Besucher wie etwa im vorigen Jahr. „Ich war darüber sehr froh, ich habe das Interesse der Menschen richtig gespürt.“
Neben zahlreichen Hass-Mails und -Postings in sozialen Medien habe die Gemeinde auch sehr viele positive Mails und Likes erhalten, ergänzt Dainow. Diese positive Rückmeldung habe seit den Hamas-Überfällen vom 7. Oktober deutlich zugenommen.
Mit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale im Oktober 2019 hat der Schutz jüdischer Einrichtungen eine noch höhere Priorität. Auch bauliche Maßnahmen jüdischer Einrichtungen in Hessen - und damit auch in Hanau - stehen damit laut Dainow im Zusammenhang. „Im Übrigen sind wir eine kleine Gemeinde und kennen die Mitglieder persönlich“, sagt er. „Unsere Gottesdienste sind auch weiterhin für jeden geöffnet, eine Anmeldung sollte im Vorfeld mit dem Gemeindebüro ausgemacht werden.“
Am 9. Oktober 2019 hat ein schwer bewaffneter Attentäter versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge in Halle einzudringen. Als ihm das nicht gelang, erschoss er davor eine 40 Jahre alte Passantin und nicht weit entfernt, in einem Döner-Imbiss, einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Attentäter zahlreiche weitere Menschen, bis er von der Polizei gefasst werden konnte.
In Hanau gibt es wie in anderen Synagogen in Deutschland keinen Gottesdienst ohne Polizeischutz. „Es gibt zwei Möglichkeiten, mit diesem Bedrohungsgefühl umzugehen: Entweder lässt man sich davon leiten und schaut nur darauf, wie schlimm das alles ist“, sagt Dainow. „Oder man nimmt es als Realität hin und sagt: Das ist so, aber wir machen trotzdem weiter.“
Und genau das sei sein Ansatz. „Wir machen einfach weiter. Das gilt auch für unsere Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen außerhalb unseres Gemeindelebens. Wir wollen mit anderen ins Gespräch kommen beziehungsweise bleiben.“
Jüdische Gemeinde in Hanau verzeichnet wachsende Solidarität
Auch Großberg sieht das so: „Wir sind Juden in Deutschland“, betont der Rabbiner. „Das ist ein Zeichen, dass die Nationalsozialisten ihre Ziele nicht erreichen. Wir gehören auch dazu. Wir müssen zeigen, dass wir da sind. Natürlich passen wir auf, aber wir gehen nicht weg.“
Aber die Reaktion der Gemeindemitglieder auf den Terroranschlag und antijüdische Vorfälle in Deutschland fallen nach seiner Beobachtung unterschiedlich aus. „Die etwas Älteren sagen: Wir wollen zeigen, dass wir jetzt erst recht kommen. Es gibt aber auch Gemeindemitglieder, die Angst haben und nicht zu der Feier am Schabbat kommen.“
Es gibt nicht nur mehr Unterstützung aus der Bevölkerung als zuvor, auch der Kontakt zur Polizei ist nach Einschätzung der jüdischen Gemeinde noch enger geworden. Es habe viele Situationen in der Vergangenheit gegeben, in denen die jüdische Gemeinden auf die Polizei zugegangen seien und gesagt hätten: „Wir fühlen da etwas. Da passiert gerade etwas, und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen“, berichtet Dainow. „Wir sind auf die Polizei zugegangen. Seit dem 7. Oktober ist es genau andersherum.“
Schon am Tag der Anschläge in Israel hätten die Handys nicht stillgestanden. „Die Polizei hat sofort den Kontakt zu uns gesucht - und zwar von höchster Ebene aus. Der enge Kontakt besteht bis heute weiter“, sagt Dainow. „Wir stehen in ständigem Austausch. Wir können unseren Mitgliedern nicht garantieren, dass nichts passiert. Aber wir können sagen: Man passt auf uns auf und man ist für uns da.“ Rabbiner Großberg fügt hinzu: „Wir verlassen uns auf Gott und die deutsche Polizei.“
Nach Angaben des hessischen Innenministers sind die polizeilichen Schutzmaßnahmen für Einrichtungen des jüdischen Lebens in dem Bundesland „auf einem dauerhaft hohen Niveau“. In Hessen werde bereits seit Jahren vor jeder Einrichtung, in der jüdisches Leben stattfinde, polizeiliche Präsenz sichergestellt.
Mehr als 40 derartige Objekte und über 350 weitere jüdische Einrichtungen wie Museen, Friedhöfe, aber auch Kindergärten und Altenheime werden den Angaben zufolge von der Polizei nach speziell zugeschnittenen Konzepten geschützt - mit offenen und verdeckten Maßnahmen.
Zum momentanen Schutz teilte ein Ministeriumssprecher mit: „Die Gefährdungslage wird weiterhin laufend analysiert, aktuelle Hinweise auf eine mögliche Gefahrenerhöhung verifiziert, bewertet und die Schutzmaßnahmen gegebenenfalls daraufhin entsprechend angepasst.“ Aber Hinweise auf konkrete Bedrohungen lägen den hessischen Sicherheitsbehörden derzeit nicht vor. (dpa)