04.07.2023

Zu Besuch im „Haus der Ewigkeit“: Arbeitskreis Jüdisches Leben Nidderau informiert sich über Friedhöfe in Heldenbergen und Windecken

News Hanau

Dass es tatsächlich drei Jüdische Friedhöfe in Nidderau gibt, zwei im Ortsteil Heldenbergen und einen in Windecken, das hat selbst einige Teilnehmer der nachmittäglichen Exkursion überrascht.

Der AK Jüdisches Leben Nidderau besuchte vor Kurzem die Friedhöfe der Stadt, um sich über deren Geschichte zu informieren, über das aktuelle Aussehen und über mögliche zukünftige Aufgaben ein Bild zu machen. Die öffentliche Besichtigung, die Julia Huneke, Kulturverwaltung Nidderau bestens organisiert hatte, fand mit Bürgermeister Andreas Bär und Oliver Dainow von der Jüdischen Gemeinde Hanau statt. Im AK vertreten sind unter anderem die evangelischen Kirchengemeinden mit Pfarrer Markus Heider und Pfarrerin Heike Käppeler, die Bertha-von-Suttner-Schule, die Bürgerstiftung, der AK Stadtgeschichte, der Kulturbeirat, engagierte Bürger wie Ralf Grünke oder Ralf Vollmer.

Evangelische Kirchengemeinden engagieren sich von Beginn an im Arbeitskreis

Der AK Jüdisches Leben Nidderau hat sich 2020 als ein „lockerer Kreis“ zusammengefunden. Seit dem 14. Jahrhundert gab es in Nidderau jüdisches Leben, das wolle man aufgreifen und auf dem aufbauen, was beispielsweise Monica Kingreen oder Erhard Bus recherchiert und veröffentlicht hätten. Sehr früh sei die Idee entstanden, mit der Jüdischen Gemeinde Hanau zusammenzuarbeiten. Eine erste Veranstaltung hatte im Sommer 2021 in Windecken mit einer Führung durch die Altstadt und das ehemalige jüdische Viertel stattgefunden. Ein zweites Treffen gab es in Hanau anlässlich einer Ausstellung zu jüdischem Leben. Ende Mai hatte der AK in Kooperation mit Kinopolis Nidderau zu einer Filmvorführung „Wo ist Anne Frank“ eingeladen. Der AK Jüdisches Leben in Nidderau versteht sich als ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft, die an jüdisches Leben als Teil der Geschichte Nidderaus erinnern wollen. Zu dieser Erinnerung gehört auch, dass sie wehtut, dass sie an wunden Punkten in jüngster Vergangenheit rührt. So wie in die verwaisten Friedhöfe Geschichten von Flucht und Vertreibung, von Deportation und der Auslöschung des jüdischen Lebens eingeschrieben sind. So betreute der Hessische Landesverband aktuell 340 Friedhöfe, aber nur zehn jüdische Gemeinden.

Zur Geschichte der Nidderauer Friedhöfe hatten sich Pfarrer Markus Heider und Horst Körzinger vorbereitet, Oliver Dainow erklärte einige Rituale zur jüdischen Bestattung. Die Toten und die Grabsteine sind generell nach Osten ausgerichtet. Der Friedhof, so die Vorstellung, ist ein „Haus der Ewigkeit“, in dem die Seele weiterlebt. Grabsteine dürfen im Boden versinken, aber es wird kein Grab mehrfach belegt. Es gelten bestimmte Regeln, welche Inschriften auf einem Grabstein stehen müssen. Diese Inschriften in hebräischer Sprache zu entziffern ist nicht einfach, dennoch würden sie das eine oder andere über die Person erzählen können.

Jüdische Friedhöfe in Heldenbergen und Windecken

Auf dem kleinen jüdischen Friedhof „Am Kellerberg“ stehen noch etwa 20 Grabsteine. 243 Personen sind hier zwischen den Jahren 1818 bis 1882 begraben worden, über eine Verwüstung des Friedhofs ist nichts bekannt. Da am Kellerberg kein Raum mehr war für weitere Begräbnisse, erwarb die Jüdische Gemeinde 1879 ein Grundstück „Am Römerpfad“ für einen weiteren Friedhof. Als erster wurde dort 1882 Samuel Scheuer zur Ruhe gebracht, der jüngste Grabstein datiert von 1935. Auf diesem Friedhof wurden ungefähr 120 Menschen beerdigt. Ab 1937 wurde er mehrfach verwüstet, entweiht und geschändet, die Grabsteine abgetragen, die Ringmauer aus Bruchstein zerstört und abgebaut. Es wurde nie aufgeklärt, wer die Täter waren. Nach 1946 gab es Auseinandersetzungen und Streitereien darüber, wie dieser Friedhof wieder herzurichten sei. In Monica Kingreens Buch „Die Deportation der Juden aus Hessen 1940 – 1945“ sind Unterlagen der Verwaltungen und Briefwechsel mit überlebenden Angehörigen dokumentiert. Im Augenblick stehen einige wenige Grabsteine wahllos und nicht – wie generell üblich – „geostet“ auf dem Friedhof.

Alle drei Friedhöfe, die beiden in Heldenbergen und der größte jüdische Friedhof in Windecken werden – wie Oliver Dainow lobend anerkennt – von den Mitarbeitern des Bauhofs sehr gut gepflegt. Sie bieten verschiedene Anknüpfungspunkte, an jüdisches Leben, Kultur und Sterben zu erinnern und darüber zu informieren. Ob es nun Schülerarbeiten sind, die Aspekte der Friedhofsgeschichte deutlich machen, ob man sich verstärkt darum bemühen sollte, die Inschriften der Grabsteine zu entziffern, ob man erforschen sollte, wer eigentlich dort begraben ist oder ob man mit Plakaten, QR-Codes oder Apps tiefer in die Geschichte der Orte einsteigen könnte – spontane Ideen gibt es viele.

Am Sonntag, 13. August, wird in der Stiftskirche Windecken der „Israelsonntag“ mit Pfarrer Heinz Daume i. R., Oliver Dainow und Irith Gabrieli gefeiert.

Heute ist der

23. Heshvan 5785 - 24. November 2024