Das Leid greifbar gemacht: Buchvorstellung über Deportation bei der Jüdischen Gemeinde Hanau
Am Dienstagabend stellte er das Werk „Die Deportation der Juden aus Hessen 1940 bis 1945“ bei der Jüdischen Gemeinde Hanau vor.
Monica Kingreen wurde 1952 in Lüdenscheid geboren, wuchs in Köln und Dortmund auf. „Sie hat sich schon früh mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt“, beschrieb der ehemalige Leiter des Hessischen Hauptstaatsarchivs die Mitstreiterin. 1984 kaufte sie mit ihrem Mann in Nidderau-Windecken ein Haus in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gelände, auf dem eine Synagoge stand.
Die Pädagogin und spätere Dozentin in der Lehrerfortbildung hat sich intensiv mit dem Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger befasst. In den Neunzigerjahren veröffentlichte sie erste Publikationen über die Verschleppungen und hielt Vorträge, 2003 wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fritz-Bauer-Institut der Goethe-Universität in Frankfurt, das den Holocaust der Nazis aufarbeitet, und im Jüdischen Museum. Enge Bande knüpfte Kingreen auch nach Hanau, wo sie sich mit dem Leben des Moritz Daniel Oppenheim (1800 bis 1882) beschäftigte, des ersten weltweit bekannten jüdischen Malers. Kingreen traf in dieser Zeit auch den evangelischen Pfarrer Heinz Daume. Der Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit erinnerte daran, dass die Historikerin dafür kämpfte, dass ihre Adresse in Synagogenstraße umbenannt wurde.
Nidderau sei dank ihres Engagements eine der ersten Gemeinden, die einstige jüdische Bewohnerinnen und Bewohner in ihre alte Heimat einlud. Das gelang ihr auch in der Brüder-Grimm-Stadt. In der Alten Johanniskirche zeigte Kingreen Zeugnisse von der Situation der Juden zwischen 1933 und 1945. 1998 gewann sie die Verantwortlichen der Deutschen Bahn dafür, eine Ein-Tages-Ausstellung über die Deportation vom Hauptbahnhof Hanau zu erlauben. Nach acht Jahren hartnäckig geführten Verhandlungen durfte 2006 auf dem Vorplatz auch eine Infotafel aufgestellt werden.
„Das sorgte für Streit, verlieh aber auch wichtige Impulse, dass sich Hanau mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt“, resümierte Daume. 250 Menschen jüdischen Glaubens wurden aus ihrem Zuhause geholt und zum Bahnhof gebracht, hessenweit waren es 17 000, die deportiert wurden – nur 950 überlebten. Die Dokumentarin stellte 2015 eine vorläufige Fassung ihres Werks vor, wollte ihre Recherchen 2017 abschließen. Am 2. September desselben Jahres erlag sie einem Krebsleiden.
Nach seiner Pensionierung als Leiter des Hessischen Staatshauptarchivs 2019 konnte Eichler ihre Arbeit fortsetzen. „Ich war mit den Quellen vertraut“, sagte er und fasste zusammen: „Sie hat den Verschleppten ihre Stimme wiedergegeben.“ Das taten auch Jugendliche von der Karl-Rehbein-Schule, die bei der Rezitation die Namen der abgeführten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen verlasen.
In den Augen von Oliver Dainow passte die Buchvorstellung zum Gedenktag Jom Hashoah. Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau würdigte den Aufstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren und „alle, die Widerstand geleistet haben“. Es sei wichtig, „die Erinnerung weiterzugeben“. „Künftige Generationen müssen aufgeklärt werden“, plädierte auch Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck (SPD). Sie gab zu bedenken: „Bald ist der letzte Zeitzeuge verschwunden.“ Kingreen habe „das Leid der Menschen vor Augen geführt und greifbar gemacht“.
Zum Buch
Das Buch „Die Deportation der Juden aus Hessen 1940 bis 1945“ kostet 28 Euro und ist über den Buchhandel oder direkt bei der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen (Mosbacher Straße 55, 65187 Wiesbaden) erhältlich.
(Quelle: Hanauer Anzeiger vom 20.04.2023)