Vielfalt jüdischen Lebens: Gerhard Haase-Hindenbergs Buch erzählt Geschichten gegen die Ignoranz
Den Titel seines Buches habe er unter anderem gewählt, um zwischen all den Neuerscheinungen die Aufmerksamkeit von potenziellen Lesern dahin zu lenken, sein Buch in die Hand zu nehmen und den Klappentext zu lesen. „Damit hat sich die Chance, gelesen zu werden, schon um ein Vielfaches erhöht“, erklärte der Schauspieler und Autor seinen Zuhörern im Kulturforum.
Zum zweiten Mal lädt die Jüdische Gemeinde Hanau gemeinsam mit der Stadt Hanau zu den jüdischen Kulturwochen mit einem abwechslungsreichen Programm, das noch bis einschließlich 19. Dezember läuft.
Nach der Begrüßung durch den Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau, Oliver Dainow, gehörte Gerhard Haase-Hindenbergs das Wort, dessen Karriere als Schauspieler ihren Anfang genommen hatte. Der 69-Jährige stand nach dem Besuch der Theaterhochschule Ernst Busch in Berlin mehr als drei Jahrzehnte auf der Bühne. Vor der Kamera spielte er unter anderem in Dieter Wedels Mehrteiler „Der König von St. Pauli“ und als Reichsmarschall Göring im Hollywood-Film „Operation Walküre“. Seit den 2000er Jahren ist er zunehmend publizistisch tätig für die Welt und Welt am Sonntag sowie für Zeit und Zeit-Magazin, den Cicero und seit 2016 als Autor der „Jüdischen Allgemeinen“. Er hat mehr als zehn erzählende Sachbücher veröffentlicht.
Das Buch „Der Mann, der die Mauer öffnete“ war die literarische Vorlage für den preisgekrönten Film „Bornholmer Straße“, die Sozialstudie „Sex im Kopf“ stand mehrere Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste.
2021 erschien „Ich bin noch nie einem Juden begegnet...“ mit den Lebensgeschichten von Jüdinnen und Juden in Deutschland, die Haase-Hindenberg anfangs noch über die „Jüdische Allgemeine“ fand, für die er regelmäßig unterschiedliche und „ganz normale“ Jüdinnen und Juden porträtierte, die zum Beispiel kein Amt bekleiden.
Leider waren es nur rund ein Dutzend Zuschauer, die Haase-Hindenbergs informativ-recherchierten und teils bewegenden Ausführungen lauschten. „Ich bin noch nie einem Juden begegnet. Diesen Satz haben die meisten Jüdinnen und Juden schon einmal von ihren nicht jüdischen Mitbürgern gehört“, meinte der Autor zu Beginn seiner Lesung.
Gegen Fremdheit und Ignoranz habe er die aktuellen Lebensgeschichten zusammengestellt, um von der Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zu erzählen.
So las er nach einem Auszug aus dem Prolog, der erläuterte, wie die Juden vor 1700 Jahren nach Deutschland kamen, die Lebensgeschichten von Marion und ihrer Familie, die nach der Flucht nach Shanghai sowie später nach Israel gingen und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in ihre „alte Heimat“ nach Berlin zurückkehrten und von Manfred, der in der kleinen Stadt Homburg aufgewachsen war.
In der Schule fühlte der Junge sich stigmatisiert, da die Familie die einzige jüdische in der Stadt war und er wegen der Aufsichtspflicht immer stumm im christlichen Religionsunterricht sitzen musste oder, noch schlimmer, vom Lehrer zu gewissen jüdischen Glaubenssätzen befragt wurde. Außerdem las Haase-Hindenberg von Rachel aus Amerika und Polina aus der Sowjetunion, die sich später in Deutschland nach ganz unterschiedlichen Lebenswegen kennenlernten und anfreundeten.
Eine amüsante Eskapade war die Geschichte der zwölfjährigen, sehr liberal erzogenen Amanda, die sich im orthodoxen Ferienlager über die koscheren Frühstücksgewohnheiten beschwerte: „Wo bin ich denn hier gelandet – keine Salami, keine Wurst auf dem Tisch?“
Der Autor beendete seine Lesung mit der Geschichte einer Frau, die im Alter von 91 Jahren zum Judentum übertrat, dem sie sich ein Leben lang gewidmet hatte – ein berührender Abschluss der Lesung.
(Quelle: Printausgabe des Hanauer Anzeiger vom 10.11.2022)