Aufstehen gegen Gleichgültigkeit
Oben auf der Empore sitzen sie, die Schülerinnen und Schüler der Karl-Rehbein-Schule, und horchen bei der feierlichen Eröffnung der zweiten Jüdischen Kulturwochen in Hanau auf: „Ihr sitzt später einmal als Regierungssprecher im Bundeskanzleramt, seid Kommunalpolitikerinnen oder Kuratoren. Habt den Mut, aufzustehen und Haltung zu zeigen, wenn Antisemitismus deutlich wird“ , spricht Oliver Dainow von der Jüdischen Gemeinde Hanau sie direkt an. Wo wäre eine Veranstaltung, die zu einer zwölfwöchigen Reise einlädt durch jüdisches Leben mit Musik, Literatur und religiösen Inhalten, die bunt, schön, tragisch und emotional zugleich sein wird, besser aufgehoben als an einer Schule? Darin sind sich alle Redner an diesem Abend einig. Der neue Schulleiter des Hanauer Traditionsgymnasiums, Stephan Rollmann, begrüßt im voll besetzten Schlossgartensaal als Vertreter der Jüdischen Gemeinschaft Dr. Jacob Gutmark vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden, Mark Dainow als Vizepräsident des Zentralrats der Juden Deutschlands und Rabbiner Andrew Steiman aus Frankfurt. Die gesamte Hanauer Stadtspitze ist gekommen, auch die Vertreter der Kirchen und des Runden Tischs der Religionen. Für die erkrankte Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, springt als Festredner Europa-Staatssekretär Uwe Becker ein.
Er würdigt, dass sich in Hanau 2005 wieder eine lebendige jüdische Gemeinde entwickelt habe, die Begegnung schaffe und Neugier wecke. Das zu einer Zeit, in der nicht klar sei, ob man jüdisches Leben offen und klar zeigen könne. Judenhass sei aus den Hinterzimmern wieder auf die Straßen und Plätze gelangt. „Ich möchte das Verlangen herbeireden, dagegen aufzustehen“, betont Becker und bezeichnet die Mischung aus Gewöhnung und Gleichgültigkeit als besonders gefährlich. Wissen darüber zu schaffen, was jüdisches Leben ausmache, sei ein wichtiger Schritt.
Oberbürgermeister Claus Kaminsky betont, jeder Einzelne trage Verantwortung dafür, dass kein Unrecht geschehe. Gerade erst fand am Hanauer Hauptbahnhof das Gedenken an die 600 jüdischen Hanauer statt, die 1942 in KZs deportiert wurden. Dieser zivilisatorische Bruch markiere einen der absoluten Tiefpunkte der Stadtgeschichte. Der OB erinnert aber auch an die mutige Hanauer Lehrerin Elisabeth Schmitz, die gegen die Nazi-Herrschaft aufstand.
„Wir leben Gott sei Dank heute in einem Land, das den Hass bekämpft“, lässt Charlotte Knobloch in ihrem Grußwort an die Festgemeinde übermitteln. Es sei wichtig, Wissen über jüdisches Leben zu vermitteln, wie es die Jüdische Kulturwochen tun. Nicht immer trage der Kulturbetrieb zu Lösungen bei, wie das Debakel um Antisemitismus und Judenhass in Kunstwerken auf der Kasseler documenta gezeigt habe. Drei Monate lang haben die Hanauer jetzt die Gelegenheit, die jüdische Gemeinschaft Hanaus mit ihrer Kultur, Geschichte und Religion näher kennenzulernen. Es gibt eine Führung über den historischen Friedhof, eine Veranstaltung zu Begräbnisriten, einen Vortrag über den jüdischen Witz und vieles mehr. Den Auftakt macht die Ausstellung „Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ in der Karl-Rehbein-Schule.
Ein Vortrag über antijüdische Vorurteile fehle ganz bewusst, erklärte Oliver Dainow, die seien im Alltag oft genug zu erleben. Und mit Charlotte Knobloch betont er, dass jüdisches Leben mehr sei als ein Kranz an einer Gedenkstätte oder ein Kapitel im Geschichtsbuch. Die Menschen seien es, die es ausmachten. „Bringen Sie Freunde und Bekannte mit zu den Veranstaltungen der Jüdischen Kulturwochen und sprechen Sie drüber“, so sein abschließender Appell.
(Quelle: Hanauer Anzeiger vom 10.09.2022)